John Taveners The Veil of the Temple ist zu Beginn des Millenniums als Auftragswerk der vom Orden der Tempelritter erbauten Temple Church in London entstanden und wurde 2003 dort uraufgeführt.
Obwohl seit 1977 dem christlich-orthodoxen Glauben zugehörig, beschäftigte Tavener sich mit Beginn der 2000er Jahre intensiv mit unterschiedlichen Weltreligionen und studierte mit wachsendem Interesse Schriften von Metaphysikern wie etwa Frithjof Schuon. The Veil of the Temple ist somit gleichermaßen sein alles musikalische Können in sich vereinendes Meisterwerk und der Zenit eines nach und nach entwickelten universalistischen Glaubensverständnisses. Christliche, buddhistische, hinduistische und islamische Anschauungen textlich und musikalisch verquickend, suchte der Komponist mit seinem Werk die Kluft zwischen westlicher und östlicher Kultur zu überwinden. Tavener nimmt die Zuhörerinnen und Zuhörer mit auf eine spirituelle Reise: Er führt sie von der Dunkelheit ins Licht – vom Tod Jesu Christi bis zu dessen Wiedergeburt und der damit verbundenen Enthüllung göttlicher Geheimnisse („Entschleierung“).
Nach dem Vorbild einer byzantinischen Vigil („Nachtwache“), erstreckt sich die Komposition über sieben Stunden vom Beginn der Nacht bis zum Hereinbrechen des Morgengrauens. The Veil of the Temple besteht aus acht Zyklen, die in Ganztonschritten nach und nach um eine Oktave steigen. Ähnlich einem sich schließenden Kreis steht der letzte Zyklus wieder in der Ursprungstonart C-Dur und markiert somit in der Tradition buddhistischer Lehre den Neubeginn. Die ersten sieben Zyklen folgen dem gleichen Aufbau, Zyklus für Zyklus lässt Tavener sie jedoch musikalisch anschwellen, gestaltet jeden komplexer, harmonisch dichter und länger als den vorangegangenen. So dauert der erste Zyklus etwa 20 Minuten, der siebte ist fast 90 Minuten lang. Zum Bruch kommt es erst im finalen achten Zyklus. Hier erreicht das Werk seine Klimax: Maria Magdalena erkennt das Göttliche in Jesus, die über Stunden aufgebaute Spannung entlädt sich. Der Schleier fällt, die Wahrheit ist enthüllt und die Erkenntnis getroffen: „Keine Religion steht für sich alleine.“ (John Tavener)